Kontext
Der Schwerpunkt der pädagogischen Tätigkeit von Johann Henzinger liegt in der Behindertenpädagogik. Hier kommt er nun mit den Problemen dieser behinderten Kinder in Berührung. Er sieht ihren Kummer und ihr Leid. Sie sind von der „normalen" Schulgemeinschaft ausgeschlossen und dadurch einsam. Mit diesem Leid der Kinder, aber auch mit den Sorgen der Eltern setzt sich nun Henzinger künstlerisch auseinander. Er versucht zu helfen, er versucht sie vor den Härten des Lebens zu schützen. Nicht anders wie ein Schutzengel.
Schutzengel kennt bereits das„Alte Testament" (Gn, 24; 7; Ex. 23,20-23) und auch mittelalterliche theologische Schriften kennen Engel als Beschützer und Freunde des Menschen. Es liegt also der Gedanke nahe, diesen Behinderten für jede ihrer Sorgen und Mühen einen Engel an die Seite zu stellen.
Zu jedem seiner vier Holzschnitte zu diesem Thema hat Henzinger seine Beweggründe und seine Gedanken in wenigen Worten dargelegt.
Mutterengel Farbholzschnitt; Japanpapier; 550 x 370 mm; 1988
"Weg der Tränen und Weg der Dornen vom Tag der Geburt an und vielleicht auch schon früher. Unendliches Leid der Mutter, das hinter ihr und noch vor ihr liegt. Wieviel von der Erwartung, die sie hegt, werden erfüllt werden können. Nicht heilen - nur helfen und lindern können wir".
Eine stehende Frau mit dem Kind achsial - frontal vor sich, lässt uns an eine Nikopoia, Kyriotissa erinnern. Die Frau hat aber lange, bis zum Boden reichende Flügel - nur ihr rechter ist zu sehen - und das Kind, das sie in ihren großen Händen hält, ist schon ein junger Mann, aber offensichtlich behindert. Diese Frau ist ein Engel, der für den jungen Mann die Mutter ersetzen muss.
Der Engel blockhaft, lediglich Gesicht und Hände feiner gearbeitet. Ungewöhnlich, dass sein rechtes Becken und der rechte Oberschenkel durch das lange, mit zartem Saum abgeschlossene Gewand zu sehen sind. Ein starker Kontrast dazu der Knabe (Weißlinienschnitt) mit seinem verzerrten Gesicht, die Augen in die Ferne gerichtet und den verkrampften Händen.
Vaterengel Farbholzschnitt; Japanpapier; 550 x 370 mm ; 1988
„Ein Sohn, gesund, kräftig und tüchtig fürs Leben, ist wahrlich der Stolz des Vaters. Der Sohn aber, der gelähmt, entstellt, an den Rollstuhl gefesselt, lebensuntüchtig und pflegebedürftig, allem Unglück zum Trotz einen Vater hat, der ihn annimmt, der ihn behütet und liebt; dieser Sohn ist trotz allem geborgen und reich. Der Vater aber ist wahrlich wie ein Engel stark und gut".
Ein erschütterndes Bild. Ein Mann drückt einen Menschen mit langen verkrüppelten Armen und ganz nach hinten geneigten Kopf an seine Brust. Dieser Mann, an seinen Flügeln zu erkennen, ist ein Engel. Liebevoll schaut er den Behinderten an, er versucht ihn zu verstehen, versucht das Leid dieses armen Menschen zu lindern.
Das Überdrucken mit den Farben gelb und rot lassen zwar die Konturen der beiden Figuren etwas verschwimmen, halten aber die Spannung, die vom Geschehen ausgeht, aufrecht.
Engel der Musik und des Tanzes Farbholzschnitt; Japanpapier; 370 x 600 mm; 1988
„Ich und du - du und ich - wir, wir, wir, tanzen, springen hin und her, auf und ab. Musik, laut und leise, tam, tam, tam. Nicht allein du und ich- ich und du ohne Angst wir ".
Zwei Figuren, ein Mann und eine Frau, scheinen sich zu drehen. Sie werden von einem Dritten — ohne dessen gewahr zu werden — von den Flügelfedern eines Flötenspielers fast eingehüllt. Dieser Dritte muss also ein Engel sein.
Die tanzende Frau in langem, blauem Kleid, das aber ihre Körperproportionen noch erkennen lässt, hält ihren Partner umschlungen, sieht ihn aber nicht an. Auch der Tänzer hält seine Partnerin umschlungen, aber auch er sieht sie nicht an.
Der Engel, wenn auch nicht im Mittelpunkt, macht das Geschehen erst möglich, er macht die Musik.
Ohne Engel Farbholzschnitt; Japanpapier; 310 x 450 mm; 1988
„Einsam allein zurückgelassen im Schatten der anderen, dort darf er gerade noch sein. Nicht mit ihnen, bei ihnen, nur hinter ihnen oder daneben am Rande. Weil er keine Worte hat, wird er ausgesondert. Wer schenkt ihm die Worte, Worte der Aufmunterung, Worte der Liebe".
Ein Mann im Rollstuhl versucht mit seiner verkrampften linken Hand die ihn umgebenden Blumen und Gräser zu fassen. Wehmütig legt er seinen Kopf in den Nacken, das Auge auf den Betrachter gerichtet. Vor ihm eine Mauer aus Menschen, eine Mauer des Schweigens. Teilnahmslos, die Hände in den Hosentaschen, lassen sie den Armen im wahrsten Sinn des Wortes „hinter sich liegen". Sicherlich nur aus Neugier wenden sie die Köpfe zu Seite und schielen nach hinten.
Die Farbe rot. Hier nicht das Symbol der Liebe, eher das Gegenteil.